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Die 5 Qualitäten und Lernstufen einer Einwirkung

Auszug aus dem Buch „pro ride horsemanship – Harmonische Trainingserfolge durch Wissen, Struktur und Gefühl“ von Thomas Günther erschienen im Pepper Verlag.

Diese 5 Punkte helfen Dir, die Qualität, das Level und die Verlässlichkeit einer Einwirkung, Übung oder Lektion zu erkennen und erfolgreich zu entwickeln. Dieses Konzept überlässt Nichts dem Zufall. Missverständnisse werden beseitigt und Du machst Dich und Dein Pferd fit für alle Herausforderungen. Dies ist ein hoch effektives Vorgehen für die Erarbeitung der isolierten Hilfengebungen und jeder Art von Einwirkung und Lektion.

 

Als Ausbilder kann ich damit sehr schnell und sicher erkennen, was ein Pferd versteht, in der Lage ist zu leisten und was nicht und wo ich ansetzen muss.

Wie ist dieses Konzept entstanden?

Ich war früher oft etwas verwirrt, wenn ich Menschen mit ihren Pferden gesehen habe, wie sie schöne harmonische Dinge tun und bildlich miteinander tanzten und in anderen Situationen sah, wie das gleiche Paar scheinbar keine gemeinsame Basis hatte und miteinander eher kämpfte.

Als ich vor vielen Jahren mal bei einem Kurs zu sah und noch wenig Ahnung von Bodenarbeit auf höherem Niveau hatte, beobachtete ich ein Mädchen, wie es mit seinem Pferd in der Freiarbeit Zirkelachten im Galopp ganz spielerisch kommunizieren konnte. Ich war absolut fasziniert und begeistert. Nach dem Kurs sah ich das gleiche Mädchen mit dem gleichen Pferd und war etwas erstaunt. Das Mädchen versuchte ihr Pferd in den Hänger zu schicken und wurde von ihm zwei Stunden lang kreuz und quer über den Hof gezogen. Ab und zu riss sich das Pferd los und alles sah sehr nach einem Kampf aus. Wie konnte das sein?

Dieses Phänomen beschäftigte mich immer wieder. Und ich fing an den Umgang mit Einwirkung und Druck bei mir selbst und vielen anderen Menschen im Alltagshandling, im Freizeitreiten und im Pferdesport sehr bewusst zu beobachten und zu reflektieren und damit die Auswirkungen auf die Pferde und ihr Verhalten dem Menschen gegenüber immer besser zu verstehen. Ich fand einige Aussagen und Ideen dazu natürlich auch in Büchern und Videos von anderen Ausbildern. All dies hat bei mir nach und nach zu einem klaren Bild geführt.

Und so hat sich das Konzept der 5 Qualitäten entwickelt. Dies hat mir geholfen, einen besseren und logischen Umgang mit Druck zu finden. Als Ausbilder hilft mir das, Pferde unabhängiger von meinem persönlichen Reitstil für andere ausbilden zu können.

Jede Einwirkung kann mit der richtigen Anwendung dieses Konzepts Leichtigkeit erlangen, wird wiederholbar, stabil, zuverlässig, selbstverständlich und auch in schwierigen Situationen abrufbar.

1. Verständnis und Leichtigkeit

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Dies ist die grundlegendste Qualität, entsprechend den Basiselementen Verständnis, Vertrauen und Respekt. Nur was mit Leichtigkeit verstanden und angenommen wird, kann zu einer zuverlässigen Sache ausgebaut werden.

Zielsetzung:

Die Art der Einwirkung und damit die Kommunikation für die betreffende Übung oder Lektion sollen klar, verständlich und mit Leichtigkeit nutzbar sein.

Der Mensch muss ein klares Zielbild haben und das Pferd die entsprechende Nachgiebigkeit finden.

Umsetzung:

Benutze dazu Deine Einwirkung bei den ersten Versuchen mit so wenig Druck wie möglich. Denn Druck erzeugt Gegendruck und wenn ein Pferd noch nicht versteht, erzeugt mehr Druck noch mehr Gegendruck.

Du brauchst nur gerade so viel, dass Dein Pferd eine Reaktion zeigt. Dabei ist der kleinste Gegendruck bereits eine Reaktion. Bleib´ mit diesem Druck so gut Du kannst gleichmäßig dran und warte auf den Versuch einer Reaktion in die gewünschte Richtung. Dann entspanne Deine Einwirkung so schnell Du kannst.

WICHTIG:

Warte auf Dein Pferd!

Baue Deinen Druck so langsam wie möglich auf und nimm´ ihn so schnell wie möglich weg!

Damit schaffst Du ein Verständnis für die Leichtigkeit der Reaktion auf die gewählte Einwirkung.

Kommt Dein Pferd bei langem Warten wirklich nicht auf die richtige Idee, kannst Du Deine Einwirkung rhythmisch werden lassen und den Druck etwas steigern oder mit einer anderen dem Pferd vielleicht schon bekannten oder verständlicheren Einwirkung nachhelfen.

Und dann sollte das Pferd mindestens 3- bis 4-mal den ersten Schritt, die erste Reaktion in die gewünschte Richtung direkt gefunden haben. Erst dann kann man von einem ersten echten und bewussten Verständnis ausgehen.

Für Lektionen bedeutet dies, dass hierfür der Fokus auf dem Einstieg in die Lektion liegt. Ist der Einstieg in eine Lektion unklar, ungenau oder nur mit viel Druck zu erreichen, können die folgenden Qualitäten und Lernstufen nicht erfolgreich erarbeitet werden.

2. Wiederholbarkeit

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Umsetzung:

Durch viele über weitere Übungseinheiten verteilte Wiederholungen der erlernten Einwirkung wird das Verständnis vertieft, die Koordination für die Lektion entwickelt und eine solide abrufbare Reaktion erarbeitet. Bei einfachen nicht so anstrengenden und belastenden Lektionen dürfen dies pro Trainingseinheit ein paar Dutzend wiederholte Aktionen sein. Dabei müssen wir das Pferd gut beobachten, um eine Überlastung zu meiden. Doch auch nicht zu ängstlich sein, Belastbarkeit entsteht auch nur durch Belastung. Als Anhaltspunkt kann hier helfen, die Qualität der Aktionen im Auge zu behalten. Wird das Pferd zu müde und die Aktion schlechter, braucht es eine Pause, eine Abwechslung oder das Ende der Übung für diesen Tag.

Damit ein verlässlicher Reflex antrainiert wird, braucht es oft hunderte oder sogar tausende Wiederholungen im Laufe von mehreren Wochen und Monaten.

Dies ist eine der Hauptgründe dafür, dass eine solide, nachhaltige und verlässliche Ausbildung sehr lange Zeit braucht. Pferde können sehr schnell verstehen und es wichtig zu wissen, dass man ihnen in kurzer Zeit sehr viel beibringen kann und durchaus auch viel mit ihnen machen sollte, um sie nicht zu langweilen. Doch die Dinge, die sehr verlässlich werden sollen, brauchen eben viel Wiederholung und viel Wiederholung braucht viel Zeit, um Überlastungen zu vermeiden. Zumal nun mehr und mehr die körperliche Entwicklung und Anpassung des Pferdes zu berücksichtigen ist.

So kann man die Zeitspanne für solide Basis- und Jungpferdeausbildung bei regelmäßigem Training je nach Können des Ausbilders und körperlicher Belastbarkeit des Pferdes erfahrungsgemäß auf mindestens ein bis zwei Jahre festlegen.

Und noch wichtig, zu berücksichtigen, die Dinge brauchen qualitative Wiederholung. Damit sind Wiederholungen der in Punkt 1 erarbeiteten Qualität an Verständnis und Leichtigkeit gemeint.

Die Wiederholbarkeit ist ein weiterer Qualitätsparameter und die Grundlage für den Beginn einer Verlässlichkeit. Verstehen und Lernen für den Moment können Pferde im Hier und Jetzt sehr schnell. Aber nur durch sehr viel Wiederholung und damit der Entstehung von Wiederholbarkeit kann aus dem Erlernten ein zuverlässiges Verhalten werden.

Zielsetzung:

Die verstandene Einwirkung oder Lektion soll wiederholbar und damit sicherer abrufbar werden. Aus Gegendruckreflexen sollen Nachgiebigkeitsreflexe werden.

Es können automatisierte und damit sicher und direkt nutzbare Verhaltensweisen entstehen. Dies gilt für grundlegende Lektionen des Pferdes, sowie für das Automatisieren der Einwirkungskoordination des Menschen.

3. Stabilität durch Beibehalten der Lektion

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Nun kommt als nächste Qualität die Möglichkeit ins Spiel, die Dauer bzw. Länge der Aufforderung und damit der Ausübung der Lektion steigern zu können. So wird es möglich, dass unser Pferd Lektionen für uns willig aufrechterhält, so lange es nötig ist. Damit bekommt die Lektion eine besondere Stabilität.

Zielsetzung:

Wir dürfen eine Einwirkung aufrechterhalten und unser Pferd bleibt solange in der Lektion bis wir diese beenden, ohne sich zu wehren, verspannt zu sein oder zu ermüden.

Umsetzung:

Eine gute Qualität in Punkt 1 und 2 sind hier wichtig als Voraussetzungen. Wir brauchen eine gewisse Leichtigkeit in der Einwirkung, damit wir unserem Pferd eine Komfortzone (ein druckfreies Gefühl) innerhalb der Lektion geben können, da sonst unser Pferd versuchen wird, die Lektion zu verlassen. 

Der Mensch muss dazu die Hilfen aussetzen bzw. auf ein absolutes Minimum und damit auf ein Gefühl reduzieren können. Nur so wird das Pferd willig in der Lektion bleiben wollen.

Die erarbeitete Wiederholbarkeit hilft, die Lektion bzw. die korrekte Reaktion des Pferdes sehr schnell wieder einleiten zu können, wenn sie verloren geht.

Mit der Steigerung des Beibehaltens der Lektion müssen wir sehr bewusst umgehen. Am Anfang kann es bei manchen Lektionen schon viel sein, 2 bis 3 Sekunden zu bekommen. Dies steigert man dann am besten in Teilzielen. Nächstes Ziel können 3 bis 4 Sekunden sein, dann 5 bis 6 Sekunden, dann 6 bis 7 Sekunden usw.

Bei einfachen Aktionen oder schon fortgeschrittenem Können bleibe ich meist solange dran, bis das Pferd einmal deutlich die Lektion verlassen will, verlange dann nochmal ein erneutes kurzes Beibehalten und gebe dann Pause und lobe. Damit lernt das Pferd, dass es anzeigen darf, wann es ermüdet, aber nicht ausbrechen, sondern durchhalten und warten soll bis die Lektion beendet wird.

Bei der ersten Lernstufe mussten wir auf unser Pferd warten, auf dieser Stufe, soll das Pferd lernen auf uns zu warten.

4. Verstärkungsfähigkeit durch Steigern und Intensivieren der Lektion

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Umsetzung:

 

Die Einwirkung bzw. die Lektion werden mit unterschiedlich starker Energie, gesteigertem Tempo bzw. höheren Intensitäten geübt.

Dabei sollte man sich behutsam und langsam bis an die Grenze des Potentials von Pferd und Mensch vorarbeiten. Es wird wichtig, immer wieder darauf zu achten, dass das Pferd noch gut und koordiniert in der Lektion bleibt.

Du kannst Dir dazu Deine Lektion bildlich in 10 Intensitäts- oder Tempostufen einteilen. Stufe 1 ist die ruhigste oder langsamste Ausführung und Stufe 10 die energiegeladenste oder schnellste Ausführung. Dann arbeitest Du Dich Stufe für Stufe hoch. Und überprüfe immer wieder, ob Stufe 1 noch ruhig und genau zu fragen ist.

Sehr zu empfehlen ist beim Üben dieser Qualität, zwischendrin mit gezielten Desensibilisierungsaktionen Ausgleich zu schaffen. Denn es findet hier eine starke Sensibilisierung statt und wir wollen Desensibilisierung und Sensibilisierung insgesamt in Balance behalten. Damit unser stark und intensiv reagierendes Pferd, ebenso weich, ruhig und entspannt bleiben kann.

Ein gutes Bild für das Üben dieser Qualität ist der Vergleich mit einer Feuerwehrübung. Eine Herausforderung ist wie ein Brand, den die Feuerwehr löschen möchte. Damit sie für einen Brandfall gut vorbereitet ist, sollte sie das Löschen üben und nicht erst dann ans Üben denken, wenn der Ernstfall eingetreten ist.

Genauso sollten wir unsere Pferde und uns auf Herausforderungen vorbereiten. Ansonsten verlangen wir in schwierigen Situationen etwas von uns und unserem Pferd, was schon in einfachen Situationen nicht möglich war. Wir geben in schwierigen Situationen oft schnellere Hilfen, verlangen intensivere Reaktionen, müssen eventuell zur Sicherheit etwas sofort einfordern und können dabei nicht auf unser Pferd warten. Es ist nicht fair, von unserem Pferd in solchen Momenten was zu verlangen, was nicht vorbereitet ist.

Natürlich ist es wichtig, hier sehr verantwortungsvoll zu sein, damit wir unser Pferd nicht verletzen. Mit dem beschriebenen Vorgehen kannst Du Dich kontrolliert an dieses Thema heranwagen.

Also, bereiten wir unsere Pferde auf das echte Leben vor. Das Leben ist kein Ponyhof.

Diese Qualität ist die entscheidendste für die Entwicklung der Verlässlichkeit von Einwirkungen und Lektionen in Herausforderungssituationen. Und gleichzeitig diejenige, die am wenigsten bewusst geübt wird. Sie hat dem gezielten Benutzen von Drucksteigerungen zu tun. Viele wollen für Übungen die Aufforderung und den Druck nicht steigern, da sie glauben oder Angst haben damit unfair zu werden. Manche benutzen unreflektiert, unbewusst oder sinnlos hohen Druck, ohne sich darüber Gedanken zu machen.

Zielsetzung:

Der Mensch soll seine Energie und den Druck, den er benutzt immer bewusst und zielgerichtet mit Gefühl und Timing einsetzen. Das Pferd bekommt ein höheres Druckverständnis und mehr Drucktoleranz. Es kann damit verstehen, auch in schwierigen Situationen und bei schnellerer und intensiverer Ansprache durch den Menschen noch gut zu reagieren. Wir bekommen ein leistungsstarkes und stressresistentes Pferd und Lektionen erreichen ein hohes Level.

5. Abrufbarkeit durch Kombinationen

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Die Qualität der Abrufbarkeit bedeutet Verlässlichkeit in unterschiedlichsten Situationen. Es wird quasi möglich, eine Einwirkung gefühlt immer und überall benutzen zu können und Lektionen zu jedem Zeitpunkt abrufbar zu machen.

Dies ist besonders ratsam für die isolierten Einwirkungen und Lektionen der Basiskontrolle.

Wir können es möglich machen uns und unser Pferd dahin zu schulen, dass zu jedem Zeitpunkt Bewegung in jede Richtung möglich wird. Man könnte auch den Zustand der perfekten psychischen und physischen Versammlung eines Pferdes damit beschreiben, dass es in diesem Moment bereit ist, in jede Richtung mit entsprechender Energie und Bewegung zu reagieren, und zwar vor, rück, links, rechts, hoch und runter. Diese Idee muss ich mit meinem Pferd natürlich üben und deshalb die unterschiedlichsten Kombinationen von Abläufen und Lektionen gestalten und durchspielen.

Zielsetzung:

Die Einwirkung, die nun schon eine gute Qualität hat, wenn sie aus einer Standardübungssituation benutzt wird und die entsprechende Lektion durch das Durchlaufen der 4 vorherigen Lernstufen sehr gut verstanden ist, wird nun noch verlässlicher und lässt sich mit Hilfe dieser Trainingsidee aus den unterschiedlichsten Situationen heraus fragen. Daraus resultiert eine sozusagen ultimative Verlässlichkeit der Lektion.

Umsetzung:

Trainiert wird die Lektion nun in Kombination mit anderen Lektionen.

Fließende Übergänge zwischen den verschiedenen Abfragen und ein vielfältiger Mix aus verschiedenen Übungsreihen führen hier zum Erfolg.

 

Pferd und Mensch üben sich damit im schnellen und spielerischen Wechsel von verschiedensten Aktionen in die Lektion, die gerade vorrangig gefördert werden soll.

Wer es noch detaillierter erklärt haben oder noch viele weitere Konzepte zu Umgang und Training mit Pferden kennenlernen möchte, der kann dies im Buch „pro ride horsemanship – Harmonische Trainingserfolge durch Wissen, Struktur und Gefühl“ (Autor Thomas Günther, erschienen 2020 im Pepper Verlag) finden.

Viel Spaß & Erfolg mit Pferden wünscht Euch Thomas Günther.

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