top of page
proride_bibliothek_interviews_cavallo_header.jpg

Interview mit der Zeitschrift CAVALLO "Das Wissen alter Reitmeister neu entdeckt"

Mit Jeans und Westernhut auf einem Pferd mit Halsring – so trifft man Western- und Horsemanship-Trainer Thomas Günther häufig. Und dieser Mann soll sich ausgerechnet den umstrittenen französischen Dressurmeister François Baucher als Vorbild gewählt haben?

 

Was auf den ersten Blick so gar nicht passen will, hat auf den zweiten Blick viele Gemeinsamkeiten. „Auch Baucher hat Horsemanship-Prinzipien aufgestellt“, findet Thomas Günther, der sich im Selbststudium intensiv mit Bauchers Schriften und aktueller Literatur zu dem bedeutenden Reittheoretiker des 19. Jahrhunderts auseinandersetzte.

 „François Baucher spricht in seinen Schriften davon, Widerstände im Pferd loszuwerden“, erklärt Thomas Günther. „Dazu lässt er beispielsweise Hinterhand-, Vor- und Mittelhand weichen und praktiziert dies auch als einzelne Übungen – ganz ähnlich wie wir das in unserem Horsemanship-Konzept machen.“ Thomas Günthers „Pro Ride“-Konzept baut auf einzelnen Trainingsbausteinen und -Schritten auf. Viele Übungen, die schon Baucher empfahl, praktiziert auch Günther (siehe Übung links).

 

François Baucher zerlegte die Hilfen des Reiters in isolierte Einzelteile. „Hand ohne Beine, Beine ohne Hand“ – diesen Grundsatz vertrat der Franzose. „Das finde ich richtig, denn auch ich möchte jede Lektion mit einzelnen, für sich isolierten Hilfen abfragen können“, erklärt Thomas Günther.

 

Wie beeindruckend der Westernreiter das umsetzt, weiß jeder, der ihn schon mal im Showring gesehen hat. Ins flüssige Rückwärts bringt er sein Pferd allein aus dem Sitz. „Gleichzeitig möchte ich aber manchmal auch bewusst nur mit der Hand das Rückwärts erfragen können, genauso wie ich auch ab und zu nur über die Hand das Tempo regulieren können möchte.“ Ob er Zügel, Bein oder Sitz für eine Lektion einsetzt, entscheidet der Reiter für Thomas Günther idealerweise immer wieder neu.

„Ich finde, dass Reiter heute oft Lektionen ausführen, aber nicht mehr wissen, wie die Hilfen auf die einzelnen Körperteile einwirken“, schildert der Trainer und erfolgreiche Turnierreiter. Die Orientierung am Klassiker Baucher hilft, dieses Gefühl wiederherzustellen. „Durch die Isolation der einzelnen Hilfen entsteht viel leichter ein Verständnis dafür, welches Körperteil gerade in diesem Moment angepasst oder korrigiert werden muss. Fehlt diese präzise Differenzierung der Hilfen, kann der Reiter die Lektion nicht richtig formen.“

Und noch ein weiteres Prinzip des alten Meisters hat sich der Westernprofi auf die Fahnen geschrieben: das Aussetzen der Hilfen. „Ich schaffe dem Pferd eine Komfortzone in den Lektionen, wie auch Baucher das gefordert hat“, erklärt er. „Befindet sich das Pferd ganz korrekt in der Lektion, bekommt es fast keinen Druck mehr vom Reiter.“

Weniger ist eben oft mehr – für Thomas Günther gilt das auch für die Ausrüstung. „Man braucht nicht immer eine Zäumung – Bauchers Prinzipien der Hilfengebung lassen sich auch mit Halsring oder bei der Freiarbeit umsetzen“, erklärt er. „Je mehr man weglassen kann, umso besser hat man das Prinzip verinnerlicht.“

Seitliches biegen fürs Nachgeben

„Diese Übung taucht ganz ähnlich auch bei Baucher auf“, sagt Thomas Günther. So gehts: Greifen Sie mit beiden Händen das Zügelende. Eine Hand gleitet nun am losen Zügel nach vorne, greift ihn und führt ihn in einem kleinen Halbkreis um die Pferdeschulter herum Richtung der eigenen Körpermitte. Das Pferd soll seinen Hals im 90-Grad-Winkel  oder sogar bis zum Reiterfuß drehen. „Diese Übung ist für das Fluchttier Pferd schwierig. Sie hilft, Reflexe abzubauen, die das Pferd daran hindern, beweglich und nachgiebig auf Signale zu reagieren.“

bottom of page